Streetview wird zu Steetslide

Während in Deutschland die Diskussion um Google Streetview weitergeht, Verbraucherministerin Aigner Ihren Streetview-Widerspruch und Sascha Lobo den Widerspruch gegen den Widerspruch als Formblatt aufbereitet haben, wird in den Forschungsabteilungen weiter an der Verfeinerung der visuellen Suchmaschine gefeilt.

Der letzte Beitrag kommt aus dem Hause Microsoft und nennt sich Streetslide. Durch die neue Technologie wird der Nutzer nicht mehr wie bisher von einer 360-Grad-Blase zur nächsten teleportiert, sondern gleitet gemütlich an einem Häuserpanorama entlang. Dadurch wird nicht nur die visuelle Suche effizienter und schneller, sondern es bleibt Platz für Hinweisschilder und Werbetafeln, die die Orientierung erleichtern. Ganz ähnlich wie auf der echten Straße, auf der man, dank einer Mobilanwendung, zukünftig leichter seinen Weg finden wird.

Microsoft Research
MIT Technology Review

Medienwandel in Deutschland

Diese Präsentation zur Mediennutzung im Wandel ist fast zwei Jahre alt. Zu alt, könnte man meinen. Doch trotz der immer kürzeren Halbwertzeit von Informationen und immer neuen Arten zu kommunizieren, beschreibt und illustriert sie auch heute noch treffend den Medienwandel der letzten zwanzig Jahre. Begeben Sie sich auf eine Zeitreise von 1990 bis gestern. Damals war Deutschland Fußball-Weltmeister. Heute wären vermutlich noch iPads dabei. Diese denkt man sich einfach dazu, lehnt sich zurück und genießt diese Reflexion zum Medienwandel in Deutschland und weltweit.

(Dank an MediaLab)

STRG+K: Wittgenstein in HTML

Hätte er Hyperlinks verwendet
Hätte er Hyperlinks verwendet?

Der Tractatus logico-philosophicus ist das einzige Buch des österreichischen Philosophen
Ludwig Wittgenstein, das zu seinen Lebzeiten veröffentlicht wurde. Es war ein ehrgeiziges Projekt, das die Beziehung zwischen Sprache und Wirklichkeit und die Grenzen der Wissenschaft ergründete um festzustellen: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ Wittgenstein schrieb den Tractatus in seiner Zeit als Soldat und als Kriegsgefangener während des Ersten Weltkriegs.

Die Welt ist alles was der Fall ist. (Manuskript)
Die Welt ist alles was der Fall ist. (Manuskript)

Vor einigen Jahren erstellte Jonathan Laventhol eine erste Hypertext-Version des zweisprachigen deutsch-englischen Ausgabe des Tractatus als private Lernhilfe. According to him, the reader will have to make up his own mind about whether such a tool helps or hinders the appreciation of the book. Er meint, jeder Leser müsse selbst entscheiden, ob eine solche Aufbereitung dem Buch angemessen und hilfreich oder eher hinderlich sei.

Die Welt ist alles was der Fall ist. (HTML-Version)

Michele Pasin, ein Forscher am Londoner King’s College, erstellte eine weitere HTML-basierte Visualisierung des Tractatus, die versucht die Registerkarten als Darstellungsform zu nutzen. Diese Aufbereitung war Teil des PhiloSURFical-Projekts welches Pasin während seiner Doktorarbeit am Knowledge Media Institute entwickelte.

Alle Register.

In den meisten Ländern ist der Originaltext mittlerweile im Rahmen des Gutenberg-Projektes frei verfügbar. (www.gutenberg.org/ebooks/5740). Dennoch bleibt das einfache Buch immernoch den besten Zugang zum schwierigen Text.

Und wenn man immer noch Verständnisprobleme hat, fragt man am besten Leute wie John Searle, alles das was der Fall ist ein wenig näher zu erläutern.

Oder man hört einfach Tocotronic.

Schließlich bin ich mir nicht sicher, ob Wittgenstein die Hypertext-Variante seinen Notizzetteln vorgezogen hätte. Aber ich bin überzeugt davon, dass verschiedene Wege zur Erkundung eines Textes dem Verständnis nur zuträglich sind.

Chatroulette ist kein Spaß – „Las Meninas“ im Web 2.0

Dieses Video ist auf Youtube gesperrt. Seien Sie bitte vorsichtig! Sie könnten die Performance des Künstlerduos Eva und Franco Mattes, bekannt als 0100101110101101.ORG, anstößig finden. Aber wenn Sie es sehen, werden Sie einiges über soziale Online-Interaktionen herausfinden. Schauen Sie dieses Video entweder gar nicht. Oder schauen sie es zweimal.


„No Fun (Kein Spaß)“ wurde Anfang des Jahres auf chatroulette.com aufgeführt, einer Website, die fremde Menschen zufällig zu Webcam-basierten Chats zusammenbringt. Was würden Sie tun, wenn Sie einen Mann aufgehängt bei Chatroulette finden? Zunächst könnten Sie glauben, dies sei nicht echt. Aber dann…

Rufen Sie die Polizei? Machen Sie ein Foto? Spielen Sie ein Lied auf der Gitarre? Oder setzen Sie einfach Ihre Sonnenbrille auf?

Der gesamte Aufbau der Performance ist ziemlich verstörend, weil es den Künstlern gelingt, den Betrachter in die Szenerie einzubeziehen, während dieser gerade mit einem Selbstmord konfrontiert ist. Die räumliche Struktur und Aufstellung von Bildschirm und Kamera erinnern an Diego Velázquez „Las Meninas“. Wie in Velásquez‘ Gemälde schafft „No Fun“ eine zutiefst unsichere Beziehung zwischen dem Betrachter und dem Betrachteten. In der Tat wird derjenige, der beobachtet, selbst beobachtet.

Schauen Sie selbst!

Achtung, Sie werden beobachtet! Diego Velásquez, Las Meninas (1656)
Sie werden beobachtet! Diego Velásquez, Las Meninas (1656)

(Danke @ MrsBunz und 0100101110101101.ORG )

Musik auf dem Overhead-Projektor

Den Overhead-Projektor findet man in vermutlich jedem Klassenzimmer und er dürfte nicht wenige Schüler und Studenten während endloser Präsentationen zum Einschlafen gebracht haben. Blair Neal aus New York hat jetzt das vermutlich glanzloseste Stück Bildungs-Technologie aufgepeppt und in ein interaktives Musikinstrument verwandelt.

Seine Installation umfasst einen alten Overhead-Projektor, eine Kamera, einige bunte Stifte und einen Laptop. Alles zusammen verwandelt sich in ein verspieltes Kunstwerk. Neal selbst beschreibt seine Installation als eine inverse Farborgel, die sich wie ein Klavier spielen lässt. Man kann verrückte Dinge zum Spaß zeichnen und vertonen oder komplizierte Songs schreiben, wenn man sich beim Zeichnen an MIDI-Sequenzern orientiert. Entwickelt in Max/MSP und Jitter.

(Danke MAKE und Blair Neal)

Lehrer schocken Studenten

Lehrer schocken Studenten (1938)

Dieses Bild aus der Library of Congress trägt den Titel: „Lehrer schocken Studenten an der George Washington University, Washington, DC, 2. August“. Das Bild erinnerte mich daran, wie seltsam der Einsatz von Technologien in der Bildung einige Jahre oder Jahrzehnte später mitunter anmuten kann. Die so genannte Schock-Maschine, die von Dr. Willard Hayes Yeager erfunden wurde, soll die Rhetorik der Studenten verbessern und die „ahs“, „ähms“ und „jas“ aus ihrer freien Rede heraushalten. Auf dem Photo ist Dr. Yeager zu sehen, wie er Jane Hampton, 17, die Schockelektroden anlegt.

Wenn die Studenten bei der öffentlichen Rede einen Fehler begingen, machte sie der Professor am anderen Ende des Raumes durch einen sanften Elektroschock darauf aufmerksam. Vielleicht gelang es so tatsächlich, einige „ähms“ zu verhindern, aber es dürften auch einige schmerzliche „ahs“ hinzugekommen sein. Werden die Menschen in etwa 70 Jahren genauso zurückblicken und sich fragen, was wir damals taten, um neue Technologien im Bildungsbereich einzuführen? Wahrscheinlich werden sie das.

Lesen und Schreiben im Globalen Dorf

Es war Louis Braille, ein Student am Königlichen Institut der jungen Blinden in Paris, der die „Nachtschrift“ der französischen Armee im Jahre 1821 abänderte und zu dem machte, was heute als Blinden- oder Brailleschrift bekannt ist. Zum ersten Mal in der Geschichte hatten blinde Menschen Zugang zu einer zuverlässigen Methode der schriftlichen Kommunikation, was zu einem signifikanten Anstieg ihres sozialen Status‘ führte. Louis Braille wurde als Befreier gefeiert.

Braille code für das Wort ⠏⠗⠑⠍⠊⠑⠗ (premier, franz. für "erster")
Braille code für das Wort ⠏⠗⠑⠍⠊⠑⠗ (premier, französisch für "erster")

Heute, im Zuge einer immer umfangreicheren Digitalisierung von geschriebenen Wörtern und schriftlicher Kommunikation bieten MP3-Player, Hörbücher und Screenreader-Software echte Alternativen zur Brailleschrift und ermöglichen blinden Menschen den Zugang zur geschriebenen Sprache, ohne überhaupt Braille lesen oder schreiben zu können. Einem Bericht des Nationalen Blindenverbandes der USA zufolge erlernen weniger als 10 Prozent der blinden Amerikaner heute noch die Brailleschrift. In den 1950er Jahren waren es noch mehr als die Hälfte aller blinden Kinder.

Es gab in den letzten Jahren eine große Debatte, ob dies die kognitive Entwicklung beeinflusse oder nicht. Und sicherlich hat der Übergang von der schriftlichen zur gesprochenen Sprache sehr weitreichende Konsequenzen, wobei diese wohl mehr kultureller als kognitiver Natur sein dürften. Es geht nicht zuletzt darum, eine eigene Möglichkeit der Kommunikation zu verlieren und die Diskussion dieser Frage wird mindestens genauso leidenschaftlich geführt, wie die Debatte über Cochlea-Implantate für Gehörlose und deren Einfluss auf die Verwendung der Gebärdensprache. Sie ordnet sich letztlich ein in die Debatte um die abnehmende Sprachenvielfalt im Allgemeinen.

Ich möchte hier aber eher die Entwicklungen von neuen Technologien und Braille zum Erlernen des Lesens und Schreibens in den Schulen generell in Beziehung setzen. Denn obwohl für Sehende der Übergang von geschriebenen und gedruckten Texten hin zu digitalen Darstellungsformen etwas fließender und in gewisser Weise unmerklicher verläuft, ist er dennoch nicht zu verleugnen und wird weitreichende Konsequenzen haben: Was wir heute noch unter Spracherwerb und Alphabetisierung (engl: literacy) verstehen, wird sich vermutlich schon bald stark verändern. Im Zuge der Entwicklung neuer Technologien wird Literacy schwerer zu definieren sein.

Auch eine Art SMS. (c) 1912 Underwood & Underwood
Auch eine Art von SMS. (c) 1912 Underwood & Underwood

Wer erinnert sich eigentlich noch an das Schönschreiben? Während die Handschrift noch im vorigen Jahrhundert für offizielle Schreiben und Dokumente unerlässlich war, ist sie dies heute längst nicht mehr. Ganz im Gegenteil, für die meisten offiziellen Dokumente wird heute ein Computerausdruck erwartet und die meisten Leute benutzen Handschrift, wenn überhaupt, dann nur noch für persönliche Notizen und Merkzettel. Man könnte das Erlernen der Handschrift deshalb durchaus gänzlich in Frage stellen. Vor einigen Jahrzehnten prognostizierten Experten bereits, dass das elektronische Zeitalter eine post-literate Gesellschaft hervorbringen würde, in der neue mediale Formen wichtiger seien als das geschriebene Wort.  Marshall McLuhan, ein kanadischer Philosoph und Gelehrter, wohl am besten bekannt für den von ihm geprägten Ausdruck „globales Dorf“, behauptete in Understanding Media: The Extensions of Man (1964), dass die westliche Kultur sich hin zu einer „mündlich geprägten Stammeskultur“ entwickeln würde.

Die Frage stellt sich heute im Globalen Dorf neu: Brauchen wir die Schreibschrift überhaupt noch zu unterrichten, um Menschen das Lesen und Schreiben beizubringen? Sicherlich nicht und auch die Konsequenzen wären vermutlich alles andere als schrecklich. Schließlich ist der Aufbau unseres Gehirns flexibel. Beispielsweise übertreffen blinde Menschen in aller Regel Sehende wenn es um das verbale Gedächtnis geht. Dies fand zuletzt eine Studie heraus, die in Nature Neuroscience veröffentlicht wurde.

Schreibschrift - Bald nur noch im Museum?
Schreibschrift - bald museumsreif? (c) 2009 Wohingenau

Statt die Schreibschrift zu lehren, wäre es eher angebracht, digitaler Bildung einen höheren Stellenwert zukommen zu lassen. Nicht zuletzt deshalb, weil auch beim standardisierten Testen immer stärker neue Technologien zum Einsatz kommen. Ab dem Jahr 2011, müssen amerikanische Schüler der 8. und 11. Klassen den schriftlichen Test der National Assessment of Educational Progress (NAEP) auf dem Computer absolvieren. Für Schüler der 4. Grundschulklasse gilt das gleiche ab dem Jahr 2019. Zwar liegt Deutschland, was das standardisierte Testen zur Schulentwicklung angeht, noch um Jahre zurück, allerdings sind auch hier seit PISA, TIMSS und den Bildungsstandards solche Testverfahren keine Seltenheit mehr. Und es ist sicherlich nur eine Frage der Zeit, bis auch hier das Testen auf Computerbasierte Lese und Schreibaufgaben umgestellt wird.

Zwar könnte man argumentieren, dass die Frage von Prüfungen und Unterricht nur eine neue Form der Frage: „Was war zuerst, das Huhn oder das Ei?“ darstellt. Ich würde jedoch behaupten, dass auch ungeachtet aller Prüfungen und Tests innerschulische und außerschulische Bildung sich zukünftig verstärkt digitale Kompetenzen konzentrieren muss und weniger Kalligraphie.

Schließlich werden neue Technologien nicht nur unseren Zugang zum Lesen und Schreiben verändern, sondern auch die Art, wie wir Kunst, Musik, Mathematik, Naturwissenschaften, Fremdsprachen und Literatur lehren, lernen und wahrnehmen. Und wie wir uns an demokratischen Entscheidungsprozessen beteiligen können. Ich bin neugierig und gespannt auf die neuen Ansätze und sehr froh, in einem globalen Dorf leben.